Es ist 7:00 Uhr morgens. Die Insel liegt eingehüllt in dickem Nebel, der See ist spiegelglatt. Die Nachbarinsel ist in der Suppe kaum auszumachen. Genau genommen sind es zwei Inseln – eine mit einer Schutzhütte, die andere lediglich mit Zeltplätzen samt festen Feuerstellen. Ich hoffe, dass sich der Nebel bald lichtet und bereite mir meinen morgendlichen Kaffee zu.

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Montag, 25.03.2024 – Auf zu neuen Ufern

Ein wenig kann ich die Zeit mit Videoaufnahmen totschlagen. Ich bin nicht besonders motiviert, halte vor allem meine Hackfresse in die Kamera und labere belangloses Zeug, anstatt diese krasse Hammerdokumentation zu drehen, die mir in meiner Phantasie vorschwebte. Aber zumindest stillt das ein wenig den Mitteilungsdrang.

Der Nebel löst sich überraschend schnell auf und ich werde mit blauem Himmel belohnt. Schnell etwas Luft ins Packraft nachpumpen, Trockenanzug und Schwimmweste an und ab aufs Wasser. Nach etwa zehn Minuten komme ich auf der ersten Insel an und nehme sie in Augenschein. Neben der Schutzhütte mit zwei Feuerstellen gibt es drei weitere Feuerstellen auf der Insel und ein Kompostklo, sogar mit Klopapier. Auch Mülleimer finden sich. An der Schutzhütte hängt ein kleines Schränkchen mit Kochgeschirr und einigen Dingen, die andere Kanufahrer zurückgelassen haben. Unter anderem eine Dose Kokosmilch, die noch haltbar ist! Ich belasse sie vorerst an Ort und Stelle.

Insgesamt wirkt die Insel viel weniger “wild” als die große Insel, auf der ich mich bislang aufhalte. Das liegt daran, dass der örtliche Kanuverleih sich um diese kleinen Inseln kümmert und diese auf campende Kanufahrer zugeschnitten sind.

Ich beschließe auch der zweiten kleinen Insel einen Besuch abzustatten. Sie liegt keine 100 Meter entfernt und verfügt ebenfalls über einen Steg, Mülleimer und eine Toilette. Eine Schutzhütte gibt es dort nicht und sie wirkt noch etwas ursprünglicher als die erste kleine Insel.

In mir reift ein Plan: Morgen werde ich auf diese Insel “umziehen”. Dann war ich vier Nächte auf der großen Insel und habe das Jedermannsrecht eigentlich schon überstrapaziert. Und den letzten Tag vor Abreise werde ich dann auf der Insel mit der Schutzhütte verbringen. So kann ich einen Großteil meiner Ausrüstung frühzeitig einpacken und morgens rasch aufbrechen.

Ich fahre zurück zu “meiner” Insel und dort noch etwas an der Küste entlang. Ich bin doch neugierig, was mich auf der Seite erwartet, auf die ich bislang nicht vorgedrungen bin. In einer Bucht fällt mein Blick auf einen umgefallenen Baum, der sehr trocken wirkt. Ich fahre zurück zum Lager, schnappe mir die Klappsäge und etwas Paracord und kurze Zeit später ist das Brennholz für den Abend gesichert. Um das Packraft vor den spitzen Ästen zu schützen, lege ich sie auf meine Beine. Das wird auf den letzten Metern arg unangenehm, aber es klappt und ich kann das Brennholz auf dem Wasserweg an meine Feuerstelle verfrachten.

Währenddessen beginnt es erneut zu regnen und aus dem Regen wird alsbald wieder Graupel. Der Schauer ist allerdings schnell vorbei und ich kann bei Essen und Tee einen schönen Ausklang des Tages am Lagerfeuer genießen. Es gibt fette Brühe mit viel Sahnepulver und Wursteinlage.

Der Drang nach Zigaretten nimmt stetig ab, es geht mir so gut wie schon seit Tagen nicht mehr. Der Ausblick auf etwas mehr Komfort in Form einer Toilette und einer Grillstelle mitsamt Sitzbänken lässt meine Laune noch weiter steigen. Ich schlafe zufrieden ein.

Dienstag, 26.03.2024 – I like to move it move it

Um 6:00 Uhr stehe ich vorm Zelt und blicke zufrieden auf den See. Kein Wind, kein Nebel. Sofort verfalle ich in Tatendrang und lasse den sonst üblichen Kaffee sausen. Ich will endlich umziehen. Rasch packe ich alles zusammen, das Essen verstaue ich im Pumpsack des Packrafts.

Meine Actioncam spinnt seit gestern herum und schaltet sich ständig ab. Ich schiebe es auf die Temperatur. Erst später wird klar, dass der Zweitakku fehlerhaft ist. Merke: So etwas sollte man vor Antritt der Reise testen.

Die Überfahrt zur kleinen Insel ist unspektakulär. Ich kann mir Zeit lassen und muss mich nicht allzu sehr ins Zeug legen, das Wetter meint es gut mit mir. Auf der Insel schleppe ich alles die Anhöhe hinauf und verstaue meine Ausrüstung fürs erste in einer der Kabinen des Kompostklos.

Danach fahre ich direkt zur anderen Insel mit der Schutzhütte. Hier sacke ich leihweise einen großen Topf ein, die Dose Kokosmilch und drei trockene Brennholzscheite, die von der letzten Saison übrig geblieben sind.

Zurück am neuen Lagerplatz baue ich das Zelt direkt am Kompostklo auf. Es ist frisch geleert und bietet einen guten Windschutz. Unter dem Zelt befindet sich ein Stein, was ich schmerzhaft feststellen muss, indem ich mich mit voller Wucht mein Knie darauf platziere. Das Knie tat mir übrigens eine Woche später immer noch weh…

Ich mache ein Kochfeuer und bereite mir einen Kaffee und etwas zu essen. Langsam hängt mir das NRG-5 zum Hals raus. Zumindest macht es satt und die Zubereitung geht schnell von der Hand.

Direkt danach setze ich den großen Topf aufs Feuer und mache mir einige Liter warmes Wasser für eine Katzenwäsche. Ein echte Wohltat nach mehreren Tagen in der feuchten Kälte. Das Feuer lasse ich heute nicht mehr ausgehen. Ich füttere es immer nur so viel, dass ich etwas Glut übrig behalte und es schnell wieder anfeuern kann. Die Holzsituation ist etwas besser als bisher. Es gibt einen großen, umgefallenen Baum, in dessen Umfeld genug trockenes Brennholz zu finden ist.

Auf der anderen Insel mit der Schutzhütte beziehen zwischenzeitlich zwei Kanufahrer Quartier. Ich habe ehrlich gesagt nicht erwartet, andere Menschen zu treffen. Aber die zwei winken nur einmal kurz und wir lassen uns gegenseitig in Ruhe.

Zum Abend hin erwärme ich mir die Kokosmilch fürs Karibikfeeling. So ganz mag es sich nicht einstellen, aber es ist eine nette und unverhoffte Abwechslung im Speiseplan. Das Tarp baue ich nicht mehr auf und glücklicherweise spielt das Wetter mit. Der Boden ist sowieso sehr steinig und es war schon schwer genug, das Zelt aufzubauen.

Mittwoch, 27.03.2024 – Good Day Sunshine

Der Tag begrüßt mich mit schönstem Wetter und ich beschließe heute vor allem, faul zu sein und viel zu essen, um etwas Energie für die Rückreise am Freitag aufzubauen. Ich sammle ein wenig Holz für Koch- und Lagerfeuer, flaniere über die Insel, mache Fotos, lasse die Drohne steigen und gammle auf verschiedenen Felsen herum. Ich sammle auch etwas Müll und dabei entdecke ich einen Geocache, in den ich mich natürlich eintrage.

Kurze Zeit nachdem die Kanufahrer die Insel mit der Schutzhütte verlassen haben, treffen zwei weitere Kanufahrer ein und bauen ihr Zelt auf. Mit der Einsamkeit hat es also nur so halbwegs geklappt, aber man lässt sich gegenseitig in Ruhe. Ich würde sicher keine Kippen annehmen, selbst wenn sie mir angeboten würden. Über diesen Punkt bin ich hinweg.

Also hoffe ich einfach, dass die Kanufahrer nur eine Nacht bleiben und ich morgen in die Schutzhütte ziehen kann, um meine Abreise möglichst bequem vorzubereiten.

Abends komme ich noch darauf, eine Portion Cashewkerne mit etwas Salz zu rösten. Das hätte ich schon die ganze Zeit machen sollen! Es riecht wie auf zehn Jahrmärkten gleichzeitig und schmeckt total lecker. Nun habe ich nicht mehr allzu viele Cashews übrig und ärgere mich ein wenig, weil ich nicht gleich zu Beginn darauf gekommen bin, sie zu rösten.

Insgesamt hat sich dieser Tag auch aufgrund des anhaltend guten Wetters erstmals wie Urlaub angefühlt und war richtiggehend erholsam. Darum fällt die Beschreibung diesmal auch ziemlich kurz aus, dafür gibt es mehr Bilder. Bis auf das Knie, das durchgehend weh tut, fühle ich mich großartig und zum ersten Mal freue ich mich nicht einfach nur auf die Rückreise, sondern genieße endlich auch einmal die Natur und die Stille.

Donnerstag, 28.03.2024 – Der Hausbesetzer

Es ist 6:30 Uhr, ich sitze im Sonnenschein und trinke einen Kaffee. Auf der Insel mit der Schutzhütte herrscht derweil Aufbruchstimmung, die beiden Kanuten haben bereits ihr Zelt abgebaut. Ich hatte mit mehr Vorlauf gerechnet und muss mich sputen. Die Schutzhütte erleichtert die Aufbruchvorbereitungen doch sehr und ich möchte sie mir sichern.

Schnell baue ich ebenfalls mein Zelt ab und stopfe alles in den Packsack. Die andere Insel ist nur 50 Meter entfernt – mangels Ersatzkleidung ziehe ich dennoch den Trockenanzug an. Erfahrungsgemäß ist die Entfernung nämlich nicht so wichtig – ins Wasser fällt man meist beim Ein- oder Aussteigen.

Diesmal hält der See einige Wellen und etwas mehr Wind bereit. Zum Test paddle ich ein wenig raus. Ich möchte sehen, wie gut ich gegen den Wind ankommen würde, wenn ich heute schon zurückfahren müsste. Das klappt überraschend gut. Beruhigt kehre ich um und fahre auf direktem Weg zum Steg an der Schutzhütte.

Flugs habe ich alles unter das Dach gepackt. Als erstes spanne ich das Tarp vor die Schutzhütte, um Wind und Wetter vollkommen abzuhalten. Der Wind kommt genau von der Seeseite her und bläst direkt in die Hütte. Das Tarp kann ich an den Balken sicher befestigen und mir einen gemütlichen Raum schaffen, in dem ich in aller Ruhe meine Ausrüstung sortieren und platzsparend packen kann. Perfekt! Genau so hatte ich mir das vorgestellt.

Kurze Zeit später trifft dann auch tatsächlich erneut ein Kanu ein. Ein Pärchen macht es sich auf der kleinen Insel gemütlich, auf der ich mich zuvor aufgehalten habe.

Für später ist noch Regen angesagt. Ich nutze die Gunst der Stunde und bereite mir rasch etwas zu essen zu. Ich hätte es nicht besser abpassen können, denn kurze Zeit später beginnt es wirklich zu regnen. Das kann mir nun egal sein. Satt und zufrieden fange ich an, meinen Rucksack zu packen. Schlafsack und Isomatte liegen für die letzte Nacht bereit. Nun könnte ich noch eine Kleinigkeit essen oder ein wenig die Insel erkunden. Der Regen hält mich noch kurze Zeit davon ab, aber er legt sich zunehmend und ich gehe auf eine kleine Fototour und sammle etwas Holz.

Ich habe noch etwas Sahnepulver und Schokolade für einen heißen Kakao übrig gelassen. Den gönne ich mir anschließend und dann noch eine heiße Brühe, einen Tee und die restlichen Mini-Salamis, die ich auf den Grill lege. Nun habe ich fast alle Vorräte vernichtet, genieße die Stille des Abends und begebe mich früh ins Bett, da ich am nächsten Morgen wieder um 5:30 Uhr aufstehen will.

Ich muss schließlich aufs “Festland” paddeln, das Boot und den Trockenanzug verstauen, zurück nach Arkelstorp wandern und dann mit öffentlichen Verkehrsmitteln bis nach Malmö fahren.

Die letzte Übernachtung auf dem Immeln also. Ein wenig sensibel werde ich nun schon. Ich freue mich sehr auf eine Dusche, eine Pizza und mein Hotelzimmer in Malmö, aber ich werde die Landschaft und “meine” Inseln doch vermissen. Ich bin auch gespannt darauf, wie ich auf die Möglichkeit reagieren werde, dass ich bald wieder Zigaretten kaufen kann.

Freitag, 29.03.2024 – Alles hat ein Ende

Um 5:30 klingelt der Wecker meines Handys. In einer Stunde wird die Sonne aufgehen und dann will ich auf dem Wasser sein. Ich lausche in die Dunkelheit. Es ist windstill.

Ich stehe auf, pumpe etwas mehr Luft ins Packraft und binde den Rucksack auf ihm fest. Trockenanzug an, Schwimmweste, Schuhe einpacken, Schwimmweste an, Paddelschuhe an… langsam wird es zur Routine.

Mein Blick schweift zum Ziel und zu den Zwischenetappen. Der See liegt ruhig vor mir und ich werde keine Schwierigkeiten haben, die drei kleinen Inseln zu erreichen, die sich vor mir bis zum Festland aufreihen. Theoretisch dürfte ich sie betreten, da ich außerhalb der Brutzeit hier bin. Aber sie sind winzig und ich möchte sie in Ruhe lassen. Außerdem möchte ich so zeitig wie möglich in Arkelstorp an der Bushaltestelle ankommen.

Ich lege ab und komme wirklich recht zügig an der Stelle an, an der ich meine Reise gestartet habe. Allerdings komme ich zu dem Schluss, dass es schlauer ist, diese kleine Landzunge zu überspringen. Wenn ich direkt dahinter wieder einsetze, muss ich nicht so weit querfeldein laufen. Ich steuere die nächste Bucht an und mache vom Wasser aus eine pyramidenartige Struktur an Land aus.

Ist das etwa ein… Tipi?!

Tatsächlich habe ich ein Bushcraft-Camp gefunden. Ich gehe kurz an Land und nehme es in Augenschein. Leider liegt auch etwas Müll herum. Einerseits wirkt es verlassen, andererseits deutet einiges an Material darauf hin, dass es noch nicht lange brach liegt. Vielleicht kommt der Erbauer ja irgendwann wieder. Ich fahre noch ein Stück weiter in die Bucht und lege an.

Das Boot und die restliche Ausrüstung ist schnell eingepackt. Ich wasche mir nochmal das Gesicht, schließlich will man ja niemanden erschrecken. Bei den Händen ist es allerdings zwecklos. Durch das hantieren mit dem nassen, morschen Holz hat sich trotz häufigem Händewaschens ein moosartiger Belag in die Furchen gekrallt.

Das letzte Stück durch den Wald hat es nochmal in sich. Ich muss durch eine sumpfartige Landschaft waten und fast falle ich in den Matsch. Schließlich erreiche ich den Waldweg und kurze Zeit später die Straße, die mich zurück nach Arkelstorp führt.

Zwischendurch knabbere ich die letzten Cashewkerne weg und komme um kurz nach 11:00 Uhr in Arkelstorp an.

Arkelstorp wirkt wie das typische südschwedische Kaff, in dem ein Wallander-Mordroman spielt. Alle Spaziergänger sehen zufrieden aus und grüßen nett. Der Dorfkern besteht aus ICA-Supermarkt, Bushaltestelle, Münztanke, Kalles Kettensägenladen und einem Imbisswagen (geschlossen).

Aus dem ICA kommen viele Menschen mit jenen Augenringen, die auf ein sorgenreiches Leben schließen lassen. Drinnen steht der Dorfjugendliche verzweifelt vor der einzigen altersgerechten, örtlichen Attraktion: Dem Regal mit Energiedrinks.

Ich sitze in der Sonne und mampfe ein Salamibrötchen. Zum Nachtisch gibt es Muffins und einen Eiskaffee aus der Dose.

Kurze Zeit später kommt der Bus nach Kristianstad, danach fährt der Zug nach Malmö. Meine Jacke habe ich eingepackt, sie riecht derart stark nach Qualm, dass ich sie niemandem zumuten will. Das Wetter meint es gut mit mir, ich benötige sie nicht. In Malmö checke ich in das Hotel ein und nehme erstmal eine ausgiebige Dusche, ehe ich mir einen Burger reinpfeife. Zigaretten kaufe ich nicht. Ich denke nicht mal daran. Die Rückfahrt mit dem Eurocity von Kopenhagen aus verläuft reibungslos.

Fazit, 30.04.2024 – Habe ich durchgehalten?

Nein. Leider nein, leider gar nicht.

Die in der Videodoku angeführten Gründe sind im Grunde nur Ausreden, das ist mir bewusst. Allerdings wiegt insbesondere der erste Grund sehr schwer und seitdem ich wieder angefangen habe, hat sich mein Gemütszustand erheblich verbessert.

Damit gebe ich aber nicht auf. Mein Ziel bleibt weiterhin, von der Seuche wegzukommen. Körperlich hat es mir nämlich ausgesprochen gut getan und ich weiß jetzt, dass ich die Zigaretten eigentlich nicht brauche.

War der Aufenthalt umsonst? Sicher nicht. Psychisch war es eine Offenbarung. Das Verlangen nach Zigaretten war seit vielen Jahren immer sehr stark und die Tage auf diesen Inseln haben mir klar gemacht, dass es auch ohne geht und ich nicht sterbe oder am liebsten alles anzünden will (es wäre sowieso zu feucht gewesen).

Wenn ich rausgehe, dann nehme ich keine Zigaretten mehr mit und wenn ich September in Kanada den Big Salmon River mit dem Kanu befahren werde, will ich eigentlich auch keine Kippen mitschleppen. Der Freiheitsgewinn ist immens.

Ihr könnt Euch also sicher sein: Fortsetzung folgt.

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Link zur Videodoku:

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