Unquiet Lake
Sonntag, 01.09.2024
Derart wach war ich um sieben Uhr morgens schon lange nicht mehr. Der Jetlag hatte mich schon um drei in der Nacht aus dem Schlaf gerissen, da konnte ich mich nochmal umdrehen und wieder einschlummern. Aber jetzt wird es ernst und die Freude darüber lässt mich förmlich hochschnellen.
Als ausgewiesener Checklistenmann gucke ich zuerst auf mein Handy und gehe die einzelnen Punkte durch. Gestern Abend bin ich einfach nur ins Bett gefallen und es gilt eine Menge Dinge zu erledigen, ehe ich um viertel vor 11 abgeholt werde. Zuerst ist Umpacken angesagt, um die als erstes benötigten Gegenstände ganz oben im Kanurucksack zu verstauen und das Handgepäck wasserfest zu machen.
Mein Ausrüster Wolf Schall von Wolf Adventure Tours hatte eine 60 Liter Kanutonne schon vor einigen Tagen für mich im Hotel deponiert und gleich auch ein paar Gegenstände hineingepackt.
Da hätten wir einen mördermäßigen Gaskocher, mit dem man ein Festzelt heizen könnte, samt Kartuschen. Außerdem ein Bärenspray mit Holster sowie ein Wasserfilter von MSR mit einer Nalgene-Flasche und einem passenden Adapter. Wie praktisch! Zufälligerweise habe ich nämlich ebenfalls eine Nalgene-Flasche dabei.
Und natürlich ist da noch die Karte des Big Salmon River mit einem Teilstück des Yukon. Die komplette Strecke vom Quiet Lake bis Carmacks. Ich fahre nur bis Little Salmon und starte am nördlichen Campground des Quiet Lake. Damit spare ich mindestens 50 km, die 12 Tage erscheinen mir auch so sportlich genug.
Es ist ein tolles Gefühl, den Flussführer in der Hand zu haben. In Hamburg habe ich bereits ausgiebig in meiner gekauften Onlineversion gestöbert, aber so ein Druckwerk ist etwas anderes. Mike Rourke hat diese Karte handgezeichnet und hält sie halbwegs aktuell. Mittlerweile ist seine Tochter in seine Fußstapfen getreten und kümmert sich ebenfalls darum. Es ist DIE Karte, man bekommt nichts besseres. Nebenbei enthält sie viele Informationen über die Geschichte des Flusses.
In die Tonne kommt alles, was Bären interessant finden könnten: Zahnpasta, Seife und Zigaretten. Außerdem zwei Rollen Klopapier, die aus den Hotels abgezwackt wurden. Der Rest wird mit Essen aufgefüllt.
Und das muss ich nun einkaufen, zusammen mit ein paar weiteren Kleinigkeiten. Der “Real Canadian Superstore” öffnet um acht Uhr, es bleibt also noch etwas Zeit, um einen Kaffee zu trinken und auf dem Bürgersteig eine zu rauchen.
Vor dem riesigen Supermarkt stutze ich kurz: Für einen Einkaufswagen benötige ich einen kanadischen Dollar. Allerdings habe ich nur Scheine einstecken. Glücklicherweise passt auch der Euro hinein, den ich aus den Untiefen meiner Geldbörse fische. Natürlich eiert am Wagen ein Rad. Manche Dinge gelten grenzübergreifend.
Erneut konsultiere ich auf meinem Handy eine Liste, die da spricht:
- Salz und Pfeffer
- Erdnussbutter
- Butter
- Instantkaffee
- Cashewkerne / Nussmischung
- Hartwurst
- Käse
- Spam und / oder Corned Beef
- 36x Riegel (12x Protein, 12x Müsli, 12x Snickers)
- 1 kg Müsli / Granola
- 1 kg Mehl / Flour
- 2 kg Milchpulver / Milk Powder
- Mückenschutz
- Sonnencreme
- 2x Feuerzeug
Ich laufe wie Falschgeld durch den Laden und es dauert eine ganze Weile, ehe ich alles zusammen habe. Snickers sind ausverkauft. Blasphemie!
Stattdessen packe ich eine andere Sorte Nussriegel ein, primär zählen die Kalorien. Das Milchpulver hatte ich vorab recherchiert. Es trägt die lustigerweise registrierte Marke “no name” und enthält genau null Prozent Fett. Skepsis und Neugierde halten sich in Waage und bevor ich gar keine Milch habe, nehme ich eben dieses Zeug.
Am Ende stehen 214 kanadische Dollar auf dem Zettel, was etwa 140 Euro entspricht. Für die Hauptmahlzeiten werde ich auf Trekkingnahrung zurückgreifen. Eigentlich gar nicht mein Stil, aber der Gedanke an die absehbaren Portagen fegt sowohl meinen Stolz als auch meinen Geiz beiseite. Zurück im Hotel springe ich ein letztes Mal unter die Dusche und räume die Lebensmittel in die Tonne.
Warum rülpset und furzet Ihr nicht?
Um viertel vor 11 stehe ich mit meinem Gerödel vor dem Hotel und Wolf ist pünktlich auf die Minute. Wir gehen kurz durch die restliche Ausrüstung und schauen noch im Outdoorladen vorbei, damit ich meine Plastikmahlzeiten erwerben kann.
Dort steigt ein Mitpaddler hinzu, der den Big Salmon in acht Tagen abreißen will. Junge junge, da hat er sich was vorgenommen. Aber das bedeutet auch, dass ich den Fluss für mich alleine habe.
Der Bus mit den Leuten, die es interessiert.
Nun geht es über 130 km den Alaska Highway hinunter, während der Fahrt bekomme ich noch einige Tipps zu schönen Camps und zur Situation am Fluss. Am Marsh Lake halten wir kurz bei Wolf, wo er mir noch ein Tragesystem für die Tonne spendiert. Dort übernimmt ein anderer Fahrer und schließlich biegen wir bei Johnsons Crossing auf die sagenumwobene South Canol Road ein. Diese abgelegene Schotterstraße führt uns weitere 100 km bis an den nördlichen Campground am Quiet Lake – dem Startpunkt meiner Tour. Eine kleine Pause mit einem Abstecher zu einer Steilklippe am Nisutlin River lässt mir zum ersten mal die Kinnlade herunterklappen.
Was für ein Anblick!
Alaska Highway
„Ab hier bist Du allein.“ – das Schild am Beginn der South Canol Road.
Fast wäre mir besagte Kinnlade in den Fluss gefallen. Die Nisutlin River Recreation Site.
Schließlich kommen wir am Quite Lake an und laden die Kanus ab. Ich bekomme ein grünes 16er aus Royalex von Mad River. Damit komme ich klar. Der Fahrer verabschiedet sich und lässt uns am Strand zurück.
Und jetzt?
Es flüsterte: „Steig endlich ein, Du Hosenscheißer!“
Eine halbe Stunde vergeht. Der andere Paddler ist schon lange weg und ich bin verzweifelt. Anscheinend habe ich die Wechselplatte meiner Kamera zuhause vergessen und jetzt kann ich sie nicht auf dem Stativ montieren. Bis mir eine Lösung einfällt, muss also die GoPro reichen. Ich fluche, während ich in meinen Trockenanzug steige, aber es hilft ja nichts. Alles wird gut verzurrt. Bereit zum ablegen.
Mein liebstes Tagesziel ist es, bis zum Ende des Quiet Lake zu paddeln. Das sind rund 10 km und es ist 17 Uhr. Motiviert steige ich ins Kanu und mache die ersten Paddelschläge. Fasziniert schaue ich mich immer wieder um und kann es nicht fassen. Ich tue das gerade wirklich!
Immer schön am Rand entlang, wissend um den potentiellen Zorn des Quiet Lake.
Der Quiet Lake ist kabbelig, ich halte mich dicht am Rand. Die Wellen sind noch beherrschbar und der Wind nur nervig, aber der Jetlag und der leere Magen fordern rasch ihren Tribut. Nach etwas mehr als 3 km beginnt es auch noch zu donnern. Die Wellen bekommen Schaumkronen. Da erspähe ich einen Campground, der aufreizend auf einer bewaldeten Landzunge hervorlugt. Ich kann ihm nicht widerstehen und beende den Paddeltag, kaum dass er begonnen hat. Ein Eichhörnchen meckert mich sofort vorwurfsvoll an.
Rauf aufs Wasser, raus aus dem Wasser…
Kurz nachdem ich mein Zelt aufgebaut habe, fängt es an zu regnen. Ich bin froh über das großzügige Platzangebot des geliehenen MSR Elixir 3 und kann meine Ausrüstung nochmal eingehend sortieren. Die Wechselplatte meiner Kamera liegt einsam im Kanurucksack, ganz unten. Sie ist wohl aus ihrem Beutel gerutscht. Meine Laune bessert sich schlagartig. Der Regen lässt bald nach und ich bereite meine erste Trekkingmahlzeit zu. Mein winziger Topf passt gerade so auf den riesigen Kocher. Es gibt überraschend gute, in Streifen geschnittene Lasagne.
Die Tonne platziere ich in Windrichtung vom Zelt weg in einiger Entfernung am Strand. Gemäß Lehrbuchmeinung sollte man sein Essen im Bärenland ja aufhängen, aber in Anbetracht der vorherrschenden Vegetation sind solche Überlegungen eher akademisch. Es gibt schlicht keinen Ast, der die Anforderungen erfüllt und im Grunde verfahren hier alle Kanuten so.
Zündeln fürs Gemüt.
Ein Lagerfeuer beschließt den Abend. Morgen will ich es bis zum Beginn des Big Salmon River schaffen. Ich sitze glücklich und satt im Halbdunkel der Dämmerung und schicke meiner Frau per InReach über Satellit die vereinbarte, vorgefertigte Nachricht:
“Berta? Das Ei ist hart!”
Nein, es ist ein schnödes “Knutsch!”.
Aber das nächste Mal hinterlege ich Berta. Versprochen.
Astreiner Seeblick
Angekommen.
Tagesdistanz: 3 km
Gesamtdistanz: 3 km
Verbleibende Distanz: 297 km
Anzahl Resttage: 11
Nötiger Tagesdurchschnitt: 27 km
Weiter zu Teil 3
Zu diesem Reisebericht gibt es einen zweiteiligen, abendfüllenden Dokumentationsfilm:
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