Hüttenkoller

Montag, 02.09.2024

Der erste Versuch mit dem Milchpulver verläuft durchwachsen, aber das bin ich gewohnt. Erfahrungsgemäß verhalten sich alle Sorten etwas anders. Dieses hier flockt, sobald ich es in den heißen Kaffee mische und hinterlässt eine rotzige Pampe am Tassenboden. Aber es schmeckt nach Milch, auch ganz ohne Fett. Faszinierend.

Im nur lauwarmen Wasser für mein Müsli löst es sich hingegen ganz hervorragend. Gut, dass ich mit dem Zeug nicht sparsam sein muss, denn ich habe mich bereits verliebt.

Apropos Liebe… ich schicke meiner Frau über Satellit eine kurze Nachricht: Alles ok, ich wurde über Nacht nicht gefressen.

Mein Zelt ist tropfnass und beim Zusammenpacken wird es vom Waldboden von oben bis unten eingesaut. Auch das Innenzelt ist feucht von Kondenswasser. Kein toller Start. Da ich heute am liebsten noch die drei Seen hinter mir lassen möchte, packe ich das feuchte Zelt rasch ein.

Es ist diesig so früh am Morgen

Hinten im Knick, beim letzten Stück Holz, hatte ich über Nacht meine Tonne gelagert. Das Zelt befand sich in einigem Abstand rechts im Wald, der Wind kam ebenfalls von rechts.

Mein Daunenschlafsack muss allerdings gut trocknen. Es bleibt also dennoch viel Zeit, um meine sieben Sachen zusammen zu suchen und das Kanu zu beladen. Viel zu spät breche ich auf. Das wird die ganze Tour über so bleiben.

Der Quiet Lake ist ruhig und wenn der Wind doch einmal auffrischt, so habe ich ihn im Rücken. So macht die Sache gleich viel mehr Spaß, erst recht weil mir Wolf für die Seen ein Doppelpaddel mitgegeben hat. Auf dem Fluss wird dann natürlich ein Stechpaddel zum Einsatz kommen. Rasch habe ich die restlichen 7 Kilometer hinter mich gebracht.

So isser fein.

Der See verengt sich zum Abfluss hin. Auf der gegenüberliegenden Seite sehe ich ein großes Camp mit einem Dreibein. Nach einer schnellen Überquerung stehe ich auf dem Strand und weiß nun, warum mir von diesem Platz abgeraten wurde: Schon ohne Wind drückt es das Wasser in die Bucht. Bei Wellengang wird man hart paddeln müssen, um wieder wegzukommen. 

Neben dem Camp befindet sich die erste von drei Hütten, die mir heute begegnen werden. Sie ist offen und im Inneren finde ich ein Gästebuch, ein Bett, einen Tisch, einen Ofen und allerhand Kleinkram, unter anderem Zündhölzer. Nach kurzer Inspektion fahre ich weiter.

Die erste Hütte am Ende des Quite Lake. Durchaus einladend.

Bereits jetzt zieht der Abfluss das Kanu mit einer guten Strömung in seine Richtung. Kaum bin ich auf dem kleinen Verbindungsfluss angekommen, wimmelt es von Äschen, die in Kanada “Grayling” genannt werden. Das Wasser ist kristallklar und sie schwimmen in Massen rechts und links an mir vorbei.

Es juckt in den Fingern und am liebsten würde ich sofort die Angel auswerfen. Allerdings habe ich andere Prioritäten und weiß, dass im Verlauf der Reise noch genügend Äschen auf mich warten. Der kurze Fluss ist sehr flach, ich schramme mehrfach über den Boden und muss mich hinknien, um das Gewicht in die Mitte des Kanus zu verlagern. Hier und da schauen vorwitzig einige Felsen und Steine aus dem Wasser, aber man kann sie gut erkennen und es ist genügend Platz und Zeit, um auszuweichen.

Dann bin ich auch schon auf dem Sandy Lake, dem kleinsten der drei Seen. Er ist spiegelglatt und die Landschaft wirkt dadurch an seinen Ufern vollkommen surreal. Auf einer Landzunge kurz vor seinem Ende mache ich kurz halt, um mich zu erleichtern. Ein Eichhörnchen meckert mich sofort vorwurfsvoll an.

Pinkelpause mit Aussicht auf das nördliche Ende des Sandy Lake.

Aufgrund des ständigen Geplätschers muss ich oft auf die Toilette. Das ist nervig: Schwimmweste aus, Bauchtasche ab, Hut ab, Brille samt Brillenband vom Kopf zerren. Trockenanzug öffnen, raus aus den Ärmeln und der Halsmanschette. Dann endlich kann das Geschäft erledigt werden.

Der Trockenanzug ist großartig, aber für die Version mit Reißverschluss im Schritt war ich zu geizig, worüber ich mich immer wieder ärgere. Vielleicht lasse ich ihn noch nachrüsten. Ich weiß nicht, wie Anfibio das gemacht hat, aber ich schwitze in dem Ding einfach nicht. Er ist innen immer trocken. Außerdem ist der Tragekomfort überraschend hoch und Regen oder nasse Füße sind einfach kein Thema mehr.

Auf den Seen dicht am Polarkreis ist er im September meine Lebensversicherung und erspart mir generell ganz viele Sorgen, die man sonst auf solch einer Tour hat. Um trockene Wechselklamotten muss ich mir nie Gedanken machen.

Zwischen dem Sandy Lake und dem Big Salmon Lake gibt es ebenfalls einen kurzen Flussabschnitt. Dieser hat allerdings so gut wie keine Strömung. Es regnet schon den ganzen Tag hin und wieder etwas, aber nun ziehen hinter mir dicke Wolken auf. Ich werde die Buchten auf dem Big Salmon Lake wohl ausfahren müssen, immer schön dicht am Ufer, damit der Wind keine Spielchen mit mir treibt. Noch liegt der letzte See ruhig vor mir, aber das kann sich schnell ändern.

Es wird düster über dem Big Salmon Lake…

Eine Stunde später bin ich zu faul und habe diesen Vorsatz vergessen. Ich befinde mich mittig zwischen zwei Landzungen, gerade mal 100 Meter vom Ufer entfernt, als der Big Salmon Lake seine Zähne zeigt. Heftige Windböen zerren von einer Minute auf die andere an meinem Kanu. Ich habe meine liebe Mühe, dagegen anzukämpfen.

Nach einem aufreibenden Kampf gelingt es mir, schräg zum Wind und den Wellen ans Ufer zu gelangen. Das ist gerade nochmal gut gegangen. Der Spuk dauert noch eine Viertelstunde an und vergeht dann so schnell, wie er gekommen ist. Halb zur Belohnung und halb zum Hohn spendiert mir Kanada einen wunderschönen doppelten Regenbogen. Hier im Yukon finde ich an seinem Ende wohl noch am ehesten Gold, aber ich beschließe lieber möglichst schnell von diesem grimmigen See wegzukommen, anstatt nach Reichtümern zu graben.

Ja leck mich doch am Arsch, Du Dreckssee! 😀

Wobei… die zweite Cabin einige Kilometer weiter reizt mich dann doch. Ich lege an und nehme sie genauer unter die Lupe. Sie entpuppt sich als halber Palast.

Großzügigerweise ist auch diese Hütte offen. Im Inneren finde ich einen Gasherd, einen Schlafboden und sogar eine Flasche Jack Daniels. Da hätte ich ja getrost ins Wasser fallen können!

Nur ein kläglicher Rest, aber immerhin.

Eines weiß ich jedoch sicher: All das ist nichts gegen die Residenz, die mich am Beginn des Big Salmon Rivers erwarten wird. Da hilft auch kein billiger Bestechungsversuch mit Alkohol. Also auf zum Endspurt des Tages!

Eine Stunde später ist es endlich so weit. Es ist kurz vor acht Uhr. Auf einmal wird das Paddeln ganz leicht. Der Big Salmon River zieht mich zu sich heran, geradezu in seinen Bann. Ich lasse das Paddel ruhen. Diesen Augenblick will ich genießen und lasse mich durch die Sumpflandschaft treiben.

Vor mir taucht bald ein Knick nach rechts auf, an dem sich der Fluss teilt. Auf der linken Seite erkenne ich eine Lichtung. Dort steht sie – die Hütte von Franz Six, auf die ich mich schon lange gefreut habe.

Rustikaler geht es einfach nicht.

Und es steht noch etwas da. Eine Silhouette, die mir winkt. Dann sehe ich auch das rote Kanu am Ufer.

Es ist der andere Paddler. Ich habe ihn eingeholt.

Tagesdistanz: 26 km
Verbleibende Distanz: 271 km

Der andere Kanute kocht hier sein eigenes Süppchen.

Weiter zu Teil 4

Zu diesem Reisebericht gibt es einen zweiteiligen, abendfüllenden Dokumentationsfilm:

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